"Ich glaube zu verstehen wodurch sich das jüdische Melos unterscheidet. Die lustige Melodie ist hier auf traurigen Intonationen aufgebahrt. Das Volk ist wie ein Mensch - warum singt es ein fröhliches Lied? Weil das Herz traurig ist." Dimitri Schostakowitsch

Jiddische Lieder auf unsere Art



Gesang: Naomi Krauss
Gitarristisches Arrangement, Gitarre: Sebastian Christoph Jacob
Bei diesem Konzert erklingt eine Gitarre von Amalio Burguet

Liveaufnahme eines Konzerts im Prater der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

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Lo mir sich iberbetn
Haeusl
Jome Jome
Rebbe


: nichts
von



Über die jiddische Volksliedkultur

Jiddische Volkslieder sind die einzigartige Ausprägung einer Kultur, die über Jahrhunderte ein bedeutender Teil des europäischen Lebens war. Im Zuge der Judenverfolgungen des 16. und 17. Jahrhunderts gelangte die Musik der Juden Westeuropas nach Osteuropa, bis ans Schwarze Meer. Hier begann die Blüte des Volksliedes in Jiddisch. Jiddisch, in früherer Zeit eine der Handels- und Verkehrssprachen in Europa, entwickelte sich von Osteuropa aus zu einer eigenständigen, komplett ausgebildeten Sprache.
Das Leben im Exil bedeutete für die Juden eine Existenz als Volk ohne Land. Das Fehlen eines von Grenzen umgebenen Territoriums und einer einzigen einheitlichen Sprache musste auf andere Weise kompensiert werden. Ein Ausgleich dafür ergab sich aus der Gewissheit einer gemeinsamen, weit zurückreichenden Geschichte und gemeinsamer Riten und Gebote, die aus der gemeinsamen Religion hervorgehen. Das jiddische Volkslied ist immer im Kontext der ihn umgebenden Gesellschaft und der Kultur der Juden Ost-Europas zu sehen. Die Melodien sind vielfältig beeinflusst. So haben manche Lieder ihren Ursprung in mittelalterlichen deutschen Weisen. Slawische wie rumänische Musik und der orientalisch gefärbte Synagogengesang hatten großen Einfluss und prägten das typische Kolorit des jiddischen Volksliedes. Durch dieses bot sich den jüdischen Einwohnern die Möglichkeit sich mittels Musik und Sprache als Volk selbst zu definieren und sich eine Identität abseits der Religion des jeweiligen Landes, in welchem sie lebten, zu schaffen.

"A zerissn gemit is schwer zum hejln.
Ein zerrissenes Gemüt ist schwer zu heilen."

Jiddisches Sprichwort


Oberdeutsches Trinklied mit textierter Tenorstimme, um 1530


Kleiner Männerchor, Psalmenhandschrift, Italien, um 1300


Die Tonalität der Weisen ist sehr reichhaltig und abwechslungsreich. Lieder, die in Moll sowie Dur stehen ähneln russischen Melodien. Das Lied Tumbalalajka und auch Lo mir sich iberbetn sind typische Beispiele dafür. Ebenfalls als harmonikalische Basis der jüdischen Tradition fungieren Tonreihen die auf die Modi der Tora-Lesungen und der Gebetsweisen im Synagogengesang zurückgehen. Gebetsanfänge bestimmter Psalmen, in denen sie markant aufscheinen, bilden den Ursprung für diese Lieder. Jedes von ihnen umfasst neben der Tonreihe mit den prägnanten übermäßigen Tonschritten eine Reihe von charakteristischen musikalischen Motiven und eine dem jeweiligen gedanklichen Inhalt des Psalms assoziierte Gefühlsstimmung. Der Gedanke religiöse und philosophische Inhalte und Geschichten in Form von Poesie zu verdichten hat Jahrtausendealte Tradition und findet sich bereits in der antiken griechischen Ethoslehre.
Auf der einen Seite gibt es Lieder mit einer sehr freien rhythmischen Form, ohne Taktstriche, meist als Sprechgesang mit Melodien synagogaler Weisen. Es ist anzunehmen, dass ein Rabbi als Einzelsänger, oder ein Spaßmacher oder Alleinunterhalter bei Hochzeiten diese Lieder vorgetragen haben könnte. Auf der anderen Seite gibt es die Tänze mit prägnantem Rhythmus. Die gebräuchlichsten Maße sind 2/4-, 3/4-, 4/4-, 3/8- und 6/8-Takte. Die Zeitwerte und die rhythmische Gliederung sind häufig einfach. Oft kommen Taktwechsel vor. Diese Lieder wurden sowohl von Einzelnen vorgetragen als auch in Gemeinschaft gesungen und gespielt.

Ähnlich unserer christlich-abendländischen Volkslied-Tradition sind auch die Inhalte der jiddischen Lieder gelagert, jedoch mit einem wesentlichen Unterschied: Religion und Alltag waren im traditionsgebundenen Judentum Osteuropas eng miteinander verwoben. Dies fand in den Volksliedern, gerade auch den weltlichen Liedern, Niederschlag. So ist zum Beispiel in Wiegen- und Kinderliedern bisweilen mehr von religiösen Themen als von Tieren, Pflanzen, Jagd oder Kampf die Rede.
Durch das gemeinschaftliche Leben im Ghetto entstanden zahlreiche Lieder mit sozialkritischen Inhalten wie Unterdrückung, Vertreibung, Ausbeutung und Armut. Auch Liebeslieder, Lieder über die Familie, Lieder zu Hochzeiten und religiösen Festen, rein religiöse Lieder, Arbeiterlieder, Soldatenlieder, Widerstands- und Partisanenlieder, Ghettolieder, Theaterlieder, humoristische Lieder, intellektuelle Autorenfolklore bis hin zu Parodien von Liedern anderer Strömungen finden sich in dieser überaus reichen Liedkultur. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde diese Kultur fast ausgerottet und fand zunächst ein gewaltsames Ende. Dennoch erlebt jüdische Musik wieder einen neuen, lebendigen Aufschwung.


Auch wenn die christliche und die jüdische Kultur von unterschiedlichen Vorstellungen geprägt sein mögen, können sich beide, durch Interesse aneinander und schließlich durch gegenseitiges Verständnis und Akzeptanz, in respektvollem Miteinander bereichern. So liegt in Polaritäten zwischen verschiedenen Kulturen und Religionen immer großes Entwicklungspotenzial. Mit dieser Erkenntnis wird ein großer Schatz für Wachstum gehoben. Denn alles Menschliche hat einen gemeinsamen Ursprung.

"Wen ale mentschn soln zien ojf ejn sajt, wolt sich di welt ibergekert. Wenn alle Menschen nach einer Richtung zögen, würde die Welt umkippen." Jiddisches Sprichwort

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